Applaus, ein Bonus und die Sache mit der Anerkennung

In der Pflege zu arbeiten war in den letzten Jahren wenig attraktiv und mit wenig Prestige verbunden. Zumindest die Sache mit dem Prestige hat sich zuletzt kurzfristig geändert. Pflegekräfte waren plötzlich Superheld*innen, der Schreck der Corona-Bilder aus Bergamo rückte endlich die Systemrelevanz der Gesundheitsversorgung sehr tief ins kollektive Bewusstsein. Der Applaus für Pflegekräfte auf Balkonen und in Parlamenten war durchaus ehrlich respektvoll und er tat für einen Moment gut.

Ein Blogbeitrag der Landesvorsitzenden Susan Sziborra-Seidlitz.

Für einen Moment – und nur das. Als Gesundheits- und Krankheitspflegerin hat mich schon nach diesem ersten Moment irritiert, dass dort vor allem die sich aufopfernde, dienende Pflege gefeiert wurde. Ein historisches Bild, das mit moderner professioneller Pflege überhaupt nichts zu tun hat.

Wir sind heute in allen Bereichen – den Kliniken, den Altenpflegeeinrichtungen, der Behindertenhilfe, der ambulanten Pflege, Praxen etc. – gut ausgebildete Fachkräfte mit einer eigenen wissenschaftlichen Basis, die sich verändert und entwickelt und unsere beruflichen Standards definiert. Wir sind selbstbewusst und das zu Recht. Und wir sind Arbeitnehmer*innen mit Rechten, die uns wichtig sind. Mit Freizeitbedürfnissen, Familien und Hobbies. Mit einem Leben über die Pflege hinaus, die vielen von uns Berufung, aber eben immer auch „nur“ der Beruf ist.

Klar tut Respekt gut dafür, dass ich wir Menschen vom Beginn bis zum Ende des Lebens, in allen Lebenszuständen, Tag und Nacht und an allen Tagen der Woche gut versorgen. Aber ich will vor allem Respekt dafür, dass wir das so fundiert tun. Ich erwarte Respekt vor den Pflegewissenschaften und ihren Erkenntnissen. Ich will Anerkennung für unsere Professionalität – nicht für unsere Aufopferung. Dazu gehört übrigens auch, dass über unsere beruflichen Belange WIR entscheiden. Berufsordnung, Ausbildungsinhalte, Berufsgerichtsbarkeit und auch die politische Vertretung für „die Pflege“ – das gehört in die Hände von Pflegenden. Nur so gewinnt die Arbeit in der Pflege wieder an Attraktivität.

Und wer die Pflegewissenschaften respektiert und anerkennt – dass wir wissen, wie gute Pflege geht – der muss auch anerkennen, dass sie unter den derzeitigen Rahmenbedingungen schwer zu leisten ist. Gute Pflege braucht Zeit. Und sie braucht motivierte und gut bezahlte Mitarbeiter*innen. Sie stellt die Patient*innen mit ihren Bedürfnissen, Ressourcen und Unterstützungsbedarfen in den Mittelpunkt. Das lässt sich schlecht mit einem Gesundheitssystem vereinbaren, das seine Effizienz an der Frage messen muss, welchen Ertrag ein Krankheitsbild oder ein Eingriff einbringt, oder mit welcher Pauschale eine Pflegehandlung vergütet wird. So reproduziert sich die Pflegekrise ständig selbst.

Und wer Gesundheitsberufe wirklich für systemrelevant hält, wer tatsächlich begriffen hat, dass die Menschen, die dort arbeiten, für unser Gemeinwohl gebraucht werden – und das nicht nur in akuter Not – der darf professionell Pflegende nicht mit Applaus abspeisen. Bonuszahlung für die Beschäftigten in der Altenpflege (die diesen Bonus wirklich gebrauchen können – in Sachsen-Anhalt verdoppelt sich damit für manche Kolleg*innen der Lohn für einen Monat nahezu) und fertig?

Nein – wirklicher Respekt für Pflegekräfte wird sich am politischen Mut zeigen, notwendige strukturelle Veränderungen anzugehen. Wir brauchen flächendeckende faire Tarife in allen Bereichen der Pflege – und eine Gesellschaft, die bereit ist, solidarisch die Kosten dafür zu tragen. Eine Finanzierungsarchitektur, die die notwendige Grundversorgung der Bevölkerung im Blick hat und sicherstellt und die Fehlanreize durch Fallpauschalen abschafft. Wir brauchen eine starke berufliche Selbstvertretung – und Pflegende, die sie tragen.

Und wir brauchen eine Gesellschaft, die die Leistungen von beruflicher Pflege mit echtem Respekt würdigt. Nicht nur auf Balkonen und über die akute Krise hinaus. Das wäre echte Vorsorge gegen die Pflegekrise. Und diese Pflegeweisheit hat sich ja bis ins Allgemeinwissen übertragen: „Vorsorge ist die beste Medizin.“