Von Freiheit und Enttäuschung

Es ist wieder CSD-Zeit in Sachsen-Anhalt. In Magdeburg und Halle gehen zahlreiche Menschen auf die Straße, um Liebe zu feiern und sich für die Rechte von LSBTI* auf der ganzen Welt einzusetzen.

Ein Text von Miriam Matz, Beisitzerin im Landesvorstand von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt.

Für mich sind CSDs mit dem Begriff Freiheit verbunden. Bei CSDs zeigt sich die moralische Stärke eines Staates: In Deutschland ist es allen Menschen möglich, zu demonstrieren und offen zu feiern, ohne dass sie dabei Gewalt oder Verhaftungen fürchten müssen. Diese Freiheit schätzen wir in dem Wissen, dass sie noch nicht allen LSBTI* auf der Welt zugänglich ist.

Auch verbinde ich CSDs mit der Freiheit, gemeinsam mit hunderten oder tausenden Menschen öffentlich die Liebe zu feiern, ganz ohne großes Polizeiaufgebot, welches bei anderen Protestveranstaltungen auftritt. Natürlich ist auch bei CSDs Polizei zurecht anwesend, um die Teilnehmenden zu schützen und einen geregelten Ablauf zu garantieren. Dennoch hält sie sich im Hintergrund und wird in vielen Momenten nahezu unsichtbar. Es entsteht ein Gefühl, als befände mensch sich bei einem großen Familien- und Freundestreffen.

Doch über diesem Zusammenkommen liegt auch immer ein Schleier des Protests. Menschen aus Vereinen, Institutionen und demokratischen Parteien treffen aufeinander und legen für diesen Tag alle Unterschiede beiseite. Sie eint der gemeinsame Wille zur Veränderung, der gemeinsame Wille, das Leben für LSBTI* in Deutschland und aller Welt zu verbessern. Sie eint die Zuversicht, dass die Ehe für Alle ein Auftakt zur Akzeptanz ist und ihr noch viele große Schritte folgen werden.

Sexuelle Identität in die Verfassung! Warum soll für den Bund nicht gelten, was für Sachsen-Anhalt gelten soll?

Trotz aller Zuversicht wird in diesem Jahr über den CSDs in Magdeburg und Halle auch ein Schleier der Enttäuschung liegen. Enttäuschung darüber, dass sich die Landesregierung bei der Abstimmung zur Erweiterung des Grundgesetzartikel 3 Absatz 3 um die sexuelle Identität im Bundesrat enthalten wird, da sich die Koalition aus CDU, SPD und uns Grünen in der Angelegenheit nicht einigen konnte. Enttäuschung darüber, dass mit dieser CDU keine progressive Politik für LSBTI* möglich ist.

Eigentlich wundert diese Tatsache nicht, schließlich verschläft es Justiz- und Gleichstellungsministerin Keding seit über zwei Jahren, Maßnahmen zu ergreifen, die die Akzeptanz von LSBTI* erhöhen. Und dennoch enttäuscht diese Entscheidung, besonders in dem Wissen, dass die Landesregierung “die Landesverfassung um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzen” wird. Für den Bund soll nicht gelten, was für Sachsen-Anhalt gelten soll? Diesen Unsinn soll die CDU erklären. Diesen Unsinn soll die Partei erklären, die im Gegensatz zu Frauen-, Senioren- und Junge Union ihre Lesben- und Schwulenunion nicht als Parteigliederung anerkennen möchte. Das zeigt doch schon, wie es um eine progressive LSBTI*-Politik in der CDU bestellt ist. Doch gerade in der CSD-Zeit erwarten wir von der CDU ein Bekenntnis zur progressiven LSBTI*-Politik des Koalitionsvertrags statt eines Rückschritts, insbesondere von Ministerin Keding.

Dennoch werden wir auch in diesem Jahr feiern, wenn auch der Gedanke des Protests wieder größer ist. Wir sehen, dass CSDs auch knapp 50 Jahre nach dem Aufstand in der New Yorker Christopher Street nötig sind. An diesem Protest beteiligen wir Grüne als Bürgerrechtspartei lautstark und aus vollster Überzeugung, denn LSBTI*-Rechte sind Menschenrechte. Es geht dabei um nicht weniger als den ersten Artikel unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Diese Würde gilt es zu wahren!