Oma, der alte Mann und die Gräber – Nie wieder Krieg!

Ein Blogbeitrag von Susan Sziborra-Seidlitz

Ich bin ein Friedenskind. Der Krieg in dem ich aufwuchs war allenfalls ein kalter. Er war bedrohlich genug, dass er mir Alpträume bescherte – noch heute erinnere ich mich an die Panik mit der ich als etwa Achtjährige aufwachte, weil in der dunklen Nacht ein Atombombenangriff die Erde gespalten hatte und meine Familie sich auf der anderen Hälfte befand – aber ich war nie gefährdet an Leib und Leben. Meine Großeltern hingegen können und konnten noch berichten von Berlin in Trümmern, von ausgemergelten Menschen auf dem Treck, von Toten in den Straßen. Meine Oma Schieta war Kindersoldatin im Prenzlauer Berg. Für mich war dieses Grauen immer unfassbar fern, aber diese mit so nahen Menschen hatten es noch erlebt.

Es ist nur achtzig Jahre her, dass Deutsche Soldaten Polen überfielen und damit das zweite große Schlachten im letzten Jahrhundert begannen. Nur achtzig Jahre und es scheint so weit weg. Wir sind doch zivilisierte Demokrat*innen und überzeugte Europäer*innen und Weltbürger. Wir wissen doch aus dem Geschichtsunterricht, Funk und Fernsehen um das Grauen. Wir sind gefeit…..

Mein Freund Ameen kam aus Syrien nach Deutschland. Ein moderner junger Mann mit einer modernen Mittelstandsfanilie aus Aleppo – einer modernen Stadt. Er hatte sich dort auf seien Schulabschluss vorbereitet, Sprachen gelernt, Musikfernsehen geguckt, der Vater war Unternehmer. Ein ganz normales Leben. Und dann war da plötzlich Krieg. Und ich lernte ihn als einen jungen Erwachsenen auf der Flucht kennen, der völlig fassungslos auf sein zerschelltes Leben schaute. Und seit dem frage ich mich oft, was UNS eigentlich so sicher macht, dass der Frieden für uns garantiert und dauerhaft ist.

Ja, wir haben mit der EU ein stabiles europäisches Haus des Friedens gebaut, aber schon ab 1843 also noch vor dem ersten Weltkrieg gab es den Beginn einer internationalen Friedensbewegung und die europäischen Herrscherhäuser waren durch Verwandtschaft und Verschwägerung genau das: europäische Häuser. Und Frieden wünschen sich Menschen immer. Und dennoch stürzten sie Europa und die Welt 1914 in die Katastrophe. Und wie stabil ist denn unser europäisches Haus heute, wie sicher und verlässlich ist denn der gemeinsame unbedingte Wunsch nach Frieden angesichts des Brexit und der Erosion in Polen zum Beispiel, oder Ungarn. Wie lange sind wir ein Haus des Friedens, wenn es an unseren Rändern und im Inneren schwelt und flammt? Und können wir behaupten, für Frieden zu stehen, wenn wir Frieden Suchende vor unseren Küsten ertrinken lassen?

„Never Again!“ beschwor mich vor drei Jahren ein älterer Neuseeländer weinend auf dem Studentenfriedhof in Passendale, wo unzählige junge deutsche Tote der dritten Flandernschlacht von 1917 begraben sind. Er weinte um eine ganze europäische und überseeische Generation, die auf diesen Schlachtfeldern blieb. Und eine zweite Generation fiel trotz der Erfahrung dieses Grauens und der unersetzlichen Verluste nur ein viertel Jahrhundert später einem weiteren Gemetzel zum Opfer. Es scheint so weit weg, aber achtzig Jahre sind kaum eine Lebensspanne und im Grunde rauchen die Trümmer noch. Und weil es manchmal so scheint, als wäre die Menschheit an dieser Stelle dramatisch wenig lernfähig, bleibt für mich dieser Satz des alten Mannes auf dem Kriegsfriedhof für alle Zeit der wichtigste Auftrag, der wichtigste Antrieb, das wichtigste Vermächtnis und muss es für uns alle sein:

„Niemals wieder! Never Again! Plus jamais! никогда!“