Dann streikt doch endlich! Über Pflegenot und die Not von Pflegenden

Normalerweise werfe ich mich an zwei Tagen in der Woche in die weiße Heldenkluft und leiste in einem großen kommunalen Krankenhaus Schichtdienste als Krankenschwester.

Normalerweise gibt es auch bei uns durchaus eine spürbare Pflegekrise, aber Verhältnisse, die es mir erlauben, an allen anderen Tagen vereinbarungsgemäß meinen Beruf hinter mir zu lassen und mich ganz und gar meiner Aufgabe als Landesvorsitzende zu widmen.

Normalerweise gibt es keine Grippewelle.

In dieser Woche wuchs sich krankheitsbedingt die Pflegekrise in „meiner“ Klinik so sehr aus, dass ich an vier statt zwei Tagen im Krankenhaus gearbeitet habe. Andere Aufgaben kamen zu kurz. Aber es war bitter notwendig. Das sagt die Krankenschwester in mir und ist sauer, dass es nicht sieben Tage waren, an denen ich die Versorgung auf „meiner“ Station sicherstellen half.

Aber ich bin auch Politikerin und als solche empören mich die Zustände. Als solche halte ich eine grundlegende Änderung im Gesundheits- und Pflegesystem für unabdingbar. Ganz sicher für alle Patientinnen und Patienten, aber auch für alle beruflich Pflegenden. Sie nämlich sind es, die Pflegekrisen, Pflegenot, akute Notstände auf ihren ohnehin schon belasteten Schultern wegschleppen.

Zu Lasten der Patientensicherheit

Während Politik heiter darüber diskutiert, wie die Berufe in der Pflege attraktiver werden könnten und wie Pflegende gleichzeitig zur Abpufferung des Ärztemangels beitragen könnten, 8.000 neue Stellen in der Altenpflege als Entlastung verkauft werden (das halte ich für den bittersten Witz des ganzen GroKo-Koalitionsvertrages), und das allererste Mal seit Einführung der Fallpauschalen jemand auf die Idee kommt, Arbeitgeber zu verpflichten, Geld, das für Pflege gezahlt wird auch für Pflege auszugeben – während all das passiert geben Pflegekräfte freie Tage auf, arbeiten länger als 8 Stunden am Tag und an drei oder mehr Wochenenden hintereinander, unterbrechen Urlaub für den Dienst oder stemmen mit viel zu wenig Personal die Pflege ihrer Patientinnen und Patienten, sobald auch nur eine Kollegin oder ein Kollege ausfällt. Das geht zu Lasten der Zufriedenheit mit dem Beruf, zu Lasten der psychischen und physischen Gesundheit und das geht vor allem zu Lasten der Patientensicherheit.

Nur Augenwischerei

Wir sind in dieser Woche weiter von einer verantwortungsgerechten Ausstattung mit Pflegepersonal entfernt, als normalerweise. Aber auch dann gilt: So lange auch nur eine Pflegekraft nicht sicher sein kann, dass ein freier Tag ein freier Tag bleibt, solange es keinerlei Puffer gibt, die Arbeit erkrankter KollegInnen zu ersetzen oder ohne Verlust an Patientensicherheit mitzutun, solange immer wieder Pflegerinnen und Pfleger die Verantwortung übernehmen müssen für ein grundverkehrtes Gesundheitssystem, solange ist alles, was uns hier als Verbesserung verkauft werden soll nur Augenwischerei.

In der Theorie wird die Krankenpflege immer besser. Wir wissen heute um wichtige Zusammenhänge in der Hygiene, wir haben eine eigene begründende Wissenschaft, die den Patienten in den Mittelpunkt allen pflegerischen Handelns stellt. Und die Pflegeausbildung in Deutschland ist auch da, wo sie ohne Akademisierung stattfindet, solide.

In der Praxis leiden unter Hektik, Stress und Personalmangel als allererstes hygienische Grundsätze, weil diese Sorgfalt und Zeit erfordern. In der Praxis orientiert sich Pflege oft wieder viel stärker als noch vor zehn Jahren an Abläufen und Funktionen, als am Patienten. Weil das Sorgfalt und Zeit und Konzentration auf den Einzelnen und die Einzelne erfordern würde. In der Praxis tritt die größte Frustration im Pflegeberuf oft auf, wenn die gut gelernte Theorie – sinnvoll, in sich schlüssig, menschenfreundlich – erstmals – also noch in oder direkt nach der Ausbildung – auf die Erfordernisse des pflegerischen Alltags trifft.

In keinem anderen Beruf sind der Krankheitsstand so hoch und Berufsausstiege so häufig wie in der Pflege.

In kaum einem anderen Beruf greift das Versagen der Politik so massiv ins persönliche Leben ein, wie in der Pflege. Und keine andere Berufsgruppe trägt die Konsequenzen dieses Versagens so weitgehend klaglos wie Pflegende. „Dann streikt doch endlich!“ war der Titel eines Kommentars in der Zeit. Wir streiken niemals ernsthaft, weil wir es unseren Patientinnen und Patienten gegenüber nicht verantworten können. Und schon gar nicht für mehr oder wenigstens angemessene Bezahlung. Selbst im Arbeitskampf übernehmen wir die Verantwortung, die eigentlich andere wahrnehmen sollten und streiten – wie an der Charité – für mehr Personal. Wir lassen uns lieber von Arbeitgebern und Gewerkschaft aufhetzen gegen eine starke und einflussreiche politische Stimme – die Pflegekammer. Und wir kommen weiter aus dem Dienstfrei zur Arbeit, aus dem Urlaub oder das dritte und vierte Wochenende in Folge. Und Einige von uns #twitternwierueddel – und das ist schon ein Anfang.

Wir dürfen Pflegepolitik nicht länger denen überlassen, die glauben mit Einzelgesprächen im Fernsehen oder verständnisvollen Statements kurz vor der Wahl wäre ein Problem gelöst. Kolleginnen und Kollegen, das geht an euch: nicht weiter mitmachen, sondern aufstehen! Organisiert euch in Gewerkschaften und Pflegeverbänden! So viele, und so starke Stimmen wie möglich können Veränderung schaffen. Entscheidet euch, ob ihr weiterhin wollt, dass Berufsfremde über das entscheiden, was sie für gute Pflege halten, oder ob ihr selbst euch in solchen Fragen vertreten wollt. Werdet politisch! Oder Politiker! Aber wenn, bleibt innerlich auch Pflegende. Und helft in Notstandssituationen auch am Bett. Das erdet. Mir geht das so.